Die schriftliche Dokumentation der Lepsius-Expedition

Zum Expeditions-Archiv gehört eine Reihe handschriftlich ausgeführter Schriftzeugnisse. Zum Teil tragen sie sehr persönlichen Charakter und vermitteln gerade dadurch höchst interessante Einblicke in die europäische Geisteshaltung um die Mitte des 19. Jahrhunderts gegenüber dem islamisch geprägten ägyptischen Orient.

In einem während der Reise geführten Verzeichnis, das die Bezeichnung "4°. IX. Inv V." trägt, sind die für die Berliner Sammlung erworbenen Original-Denkmäler und gesammelten Naturalien ebenso aufgelistet wie die in Ägypten angefertigten Gipsabgüsse, Zeichnungen und Abklatsche.

In Berlin wurden später zwei Kopien von diesem Verzeichnis hergestellt, wobei Lepsius in das ihm persönlich gehörende Exemplar handschriftlich vermerkte: "Kopie des Verzeichnisses in Fol. V., welches aus 4°. IX. kopiert ist. (nur sind hier die rothen Nummern der Publikation der Zeichnungen u. Abdrücke nicht zugefügt. Auch fehlen hier die aus den anderen Büchern ausgezogenen Gypsabgüsse die sich in Fol. V finden)". Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Original und den Kopien besteht aber auch darin, dass in letzteren Objektgruppen gebildet und in diesen die einzelnen Gegenstände durchnummeriert sind.

Im Originalverzeichnis verweisen eingeklebte Reiterzettel auf die Seiten, auf denen die jeweilige Gruppe weitergeführt wird. Zudem finden sich dort Angaben, die später bewusst nicht mit übertragen wurden. So ist beispielsweise zu einzelnen Grabplänen vermerkt, dass die Originale nach Berlin gesendet worden waren. Auch angemerkte fälschliche Doppelzählungen wie bei den Plänen des so genannten Labyrinths wurden nicht kopiert. Streichungen und Korrekturzusätze finden sich dagegen in den Kopien ausgeführt.

Bei der durch Lepsius letztwillig bestimmten Herausgabe der Textbände zum Denkmäler-Werk durch Eduard Naville wertete Kurt Sethe die hinterlassenen Materialien der Expedition aus. Hierzu erstellte er zunächst eine handschriftliche Kladde, in der er ausgehend vom Denkmäler-Werk den einzelnen Tafeln die jeweiligen Zeichnungen, Abdrücke und Objektbezeichnungen ("Text") zuordnete. Für diese Auswertungsarbeit insgesamt lagen ihm neben dem erwähnten Verzeichnis vor:

  • die Abklatsche und Zeichnungen der Expedition
  • die Tagebücher und Notizbücher von Richard Lepsius
  • die Skizzenbücher von Georg Erbkam
  • das Skizzenbuch von Max Weidenbach
  • ein von Lepsius verbessertes Exemplar der drei von Ippolito Rosellini 1832-34 in Pisa publizierten Bände 'I Monumenti dell' Egitto e della Nubia'.

Von Sethe unberücksichtigt blieben die drei persönlichen Tagebuchbände von Georg Erbkam. In interessanter Weise werden hier die sonst im wissenschaftlichen Archivmaterial vermissten Eindrücke vermittelt, die europäische Reisende von der arabischen Welt zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatten. So findet sich hier ein Bericht über die Feierlichkeiten zu Ehren des Preußischen Königs anlässlich seines Geburtstages am 15. Oktober 1842, über die auch Lepsius bereits sehr persönlich in einem Brief vom 16. Oktober 1842 aus Kairo berichtet hatte. Erbkam schreibt:

"Sonnabend den 15ten October 1842 Königs Geburtstag. Um 5 Uhr, wo es noch Nacht ist, wird aufgestanden, angezogen und ein Schälchen Caffee getrunken. Um 1/2 6 Uhr kommt Lieder, um 6 Uhr etwa Herr Isenberg und Mühleisen; der Dr. Brunner hat leider abgesagt, weil er zu schwere Krankheit hat; auch Herr Bockty kommt nicht sowie Herr Krapf; auch die Frauen haben Hindernisse, und so sind nur 4 Freunde bei der Parthie, Herr Champion, der erst in Alt Cairo hinzukommt und die 3 Missionare. Bei herrlichstem Morgen geht es zum Thore hinaus durch die Gartenanlagen des Ibrahim Pascha nach Alt Cairo, wo wir uns (die Cavalkade bestand jetzt aus 12 Herren und 2 Dienern mit 2 Packeseln) sammt allen Eseln auf 9 Barken über den Nil setzen lassen. Dort wird wieder aufgepackt und nun geht es, wegen der Überschwemmung in einem immensen Umweg von 3-4 Stunden stets auf Dämmen entlang der Wüste zu. Bei niedrigem Wasser sind die Pyramiden vom Nil etwa 1 Stunde; heut brauchen wir 4 Stunden dazu. Interessanter Anblick des Wüstenrandes; der Sand hier gelb, ganz wie bei uns, aber mit schwärzlichem Kieselgerölle, was gewissermaßen in Streifen die Hügel hinabgeweht ist, bedeckt. Zwischen weidenden Araberherden geht es unweit einer mächtigen Überschwemmungsfläche über stachlichen Ginster den Pyramiden von Giza zu; die von Sakkara sind uns fast in gleicher Nähe links; man unterscheidet sehr genau darin die Stufenpyramide. - Etwa in 5/4 Stunden haben wir die Sphinx aus dem Sand guckend erreicht, und dahinter Araberhöhlungen im natürlichen Fels, wo wir uns versammeln, ausruhen und Caffee trinken; hier zeigt sich, daß Lepsius die Hauptsache, den Wein, vergessen hat; indessen führen wir Ingredänzien mit sich, die ihn einigermaßen ersetzen müssen, da es nicht mehr möglich ist, ihn aus Cairo herbeizuschaffen. Eine Pute wird von mir vertheilt, und kalt genossen. Inzwischen ist unser Zelt angekommen, was geliehen ist (für 55 Piaster) und es wird begonnen, dasselbe auf der Nordseite vor dem Eingange der großen Pyramide aufzuschlagen. Nun machen wir (ausgenommen Champion und Lieder) uns mit Hilfe der höchst lästigen Araber, deren wenigstens 20 uns umschwirren auf den Weg nach der Pyramide, um den Gipfel zu besteigen. Jeder von uns hat 2-3 Araber, deren 1 stößt und 2 ziehen; die Stufen sind allerdings sehr hoch 1 1/2 bis 2 Fuß, auch 3 Fuß, und das Steigen ist mühsam, man wird aber mit unaufhaltsamer Eile hinaufgestoßen und gezogen, kaum, daß man weiß, wo man den Fuß hinsetzt; hinter sich zu blicken, ist nicht rathsam, denn die Höhe ist erstaunlich und man wird ganz schwindlich; nach 3-4maligem Verpusten bin ich endlich oben und genieße die unermeßliche Aussicht vor uns in der Ferne Cairo und die mächtige Nilfläche mit ihren Inseln, Dörfern, hinter uns die Wüste; nahe die 2te und 3te Pyramide und die in Reihen geordneten Gräber und 3 kleine Pyramiden unten. Welch großartiger Anblick. Die Steinblöcke auf der abgeplatteten Spitze haben immer noch 1 m Breite, 1,20 m Höhe und 1,20 m Tiefe; wir richten uns ein, auf demselben sitzend, und die Gegend umher bewundernd. Die Fläche oben hat etwa 18 Fuß im Quadrat, und doch war mir ein wenig schwindlich dort, weil, wenn man nicht noch an den Rand tritt, u(nd) die Stufen nicht sieht, sondern denkt, es sei ein Abgrund; ich hatte, gesteh ich, Furcht vor dem Hinabsteigen. Die Felsblöcke der Spitze sind ganz mit Namen bedeckt; darunter fand ich R. Stopford, Lord Perigord, (Probizer) und Andre, nicht aber Pücklern ..."

Ein einzigartiges Schriftzeugnis der Lepsius-Expedition allerdings musste und sollte am Ort des Geschehens verbleiben: Eine aus Anlass der Geburtstagsfeier komponierte Inschrift wurde nach Art alter Stelen in den rechten oberen, sparrenartig verlegten Steinbalken oberhalb des historischen Eingangs der Cheopspyramide eingetieft. Sie kann wohl als die erste Inschrift gelten, die nach der Entzifferung der Hieroglyphen wieder diese Schrift als Informationsträger nutzt. In einem Brief vom 17. Januar 1843 liefert Lepsius hierfür auch die Übersetzung:

"So sprechen die Diener des Königs, des Name Sonne und Fels Preußens ist, Lepsius der Schreiber, Erbkam der Architekt, die Brüder Weidenbach die Maler, Frey der Maler, Franke der Former, Bonomi der Bildhauer, Wild der Architekt: Heil dem Adler, Schirmer des Kreuzes, dem Könige Sonne und Fels Preußens, dem Sohne der Sonne, die das Vaterland befreite, Friedrich Wilhelm dem Vierten, dem Philopator, dem Landesvater, dem Huldreichen, dem Lieblinge der Weisheit und der Geschichte, dem Hüter des Rheinstroms, den Deutschland erkoren, dem Lebenspender allezeit. Möge gewähren dem Könige und seiner Gemahlin der Königin Elisabeth, der Lebensreichen, der Philometor, der Landesmutter, der Huldreichen, der Höchste Gott ein immer frisches Leben auf Erden für lange und eine selige Wohnung im Himmel für ewig. Im Jahre unseres Heilandes 1842, im zehnten Monat, am fünfzehnten Tage, am siebenundvierzigsten Geburtstage Seiner Majestät, auf der Pyramide des Königs Cheops; im dritten Jahre, im fünften Monat, am neunten Tage der Regierung seiner Majestät; im Jahre 3164 vom Anfange der Sothisperiode unter dem Könige Menephthes."


Eine Doppelseite der von Kurt Sethe angefertigten Kladde zum Lepsius-Archiv

Seiten 172-3 aus dem Notizbuch I von R. Lepsius

Titelblatt der Lepsius gehörigen Kopie des Verzeichnisses der während der Reise gesammelten Monumente, Papierabdrücke, Zeichnungen etc.

Georg Gustav Erbkam, Tagebuch, Eintragung vom 15. Oktober 1842

Seiten 16-7 aus dem Notizbuch II von R. Lepsius

Titelseite des 1. Foliobandes der Tagebücher von Richard Lepsius

Pyramiden von Gizeh. Oberer Eingang der Cheops-Pyramide mit der hieroglyphischen Inschrift zur Geburtstagsfeier des preußischen Königs. Bleistiftzeichnung. Signiert J.F. Archiv Inv.-Nr. 2427