Geschichte

Abriss der Geschichte des Wörterbuch-Unternehmens (1897-1992)

1897

Am 10. Mai bewilligte der deutsche Kaiser die Mittel zur Herausgabe eines "Wörterbuches der aegyptischen Sprache". Das Vorhaben wurde auf etwa elf Jahre berechnet. Es stand unter der Aufsicht der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig und der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu München. Die Leitung lag in den Händen einer akademischen Kommission, in die seitens der Akademien Georg Ebers (1837-1898),  Adolf Erman (1854-1937), Richard Pietschmann (1851-1923) und Georg Steindorff (1861-1951) gewählt wurden.

1898 - 1899

Nach dem beim "Thesaurus Linguae Latinae" ausgebildeten Verfahren begann 1898 die Texterfassung. Bis Jahresende wurden u. a. das Buch von der Himmelskuh, der medizinische Papyrus Ebers, die Papyri Westcar und d'Orbiney verzettelt. Insgesamt wurden von 51.304 Zetteln mit Markierung der Lemmata 34.804 alphabetisch eingeordnet. Dem Unternehmen wurden Abklatschserien der Texte in den Pyramiden des Unas, Pepi I. und II., Merenre und Teti zur Verfügung gestellt. Die Arbeitsgruppe um Erman bestand vornehmlich aus seinen Schülern Heinrich Schäfer (1868-1957) und Kurt Sethe (1869-1934) sowie James Breasted (1865-1935) und Alan H. Gardiner (1879-1963). Als Hilfsarbeiter waren Max Bollacher (Daten unbekannt), Georg Möller (1876-1921) und Friedrich Vogelsang (* unbekannt; gefallen im 1. Weltkrieg) angestellt.

1900 - 1905

Insgesamt waren Ende 1900 seit Beginn der Verzettelung fast 150.000 Zettel alphabetisch markiert und zur Hälfte eingeordnet worden. Zunehmend zeigte sich, daß die sog. Nebenarbeiten (Anstreichen, Beschreiben, Einlegen u.s.w.) mehr Zeit als geplant benötigten. Durch Ludwig Borchardt (1863-1938) wurden 1901 die Texte im Karnak-Tempel aufgenommen; neben Erman und Sethe kopierte auch Steindorff die für die ägyptischen Literaturtexte wesentlichen Papyri und Ostraka des British Museum. Sethe begann mit der Verzettelung der Pyramidentexte, die er nach 2 Jahren abschloß. Im Oktober 1905 reiste er für mehrere Monate nach Ägypten; bei seiner Rückreise fehlte aus den Tempeln von Karnak, Luxor, Medinet Habu, Gurna und dem Ramesseum keine wesentliche Inschrift mehr in den Aufnahmen für das Wörterbuch. Zudem waren von 120 thebanischen Gräbern die Texte kopiert worden. Die Anzahl der alphabetisch markierten Zettel betrug 1905 zum Jahresende 585.757. Als Hilfsarbeiter waren Max Burchardt (1885-1914), Hermann Junker (1877-1962), Günther Roeder (1881-1966), Adolf Rusch (Daten unbekannt) und Martin Stolk (Daten unbekannt) angestellt.

1906 - 1910

Die Ausarbeitung eines vorläufigen Manuskriptes durch Erman und Sethe begann 1906. Ende 1907 existierten 828 Manuskript-Seiten, auf denen 537 ägyptische Wörter behandelt wurden, deren Zahl bis 1909 auf insgesamt 1939 Seiten für 789 Wörter anwuchs. Die Kommission beschloß daher, daß ein Manuskript in kürzerer Form notwendig sei. Auf Anregung von Sethe begannen Erman und Grapow 1909 mit einer endgültigen Feinordnung der alphabetischen Hauptverzettelung, der Grundlage des späteren Wörterbuch-Manuskriptes. Unter Leitung von Schäfer entsandte die Akademie 1909 eine Expedition nach Nubien, um in den durch den ersten Aswân-Staudamm bedrohten Tempeln alle Inschriften für das Wörterbuch zu dokumentieren; unter Leitung von Junker wurde sie im Folgejahr erfolgreich abgeschlossen: In Berlin sind auf 8000 Abklatschen und 2000 Fotos die Inschriften aller Tempel Nubiens dokumentiert. Die Verzettelung der Tempelinschriften griechischer Zeit begann. Die Anzahl der alphabetisch markierten Zettel betrug 1910 zum Jahresende 1.120.549. Hermann Grapow (1885-1967) nahm 1907 als Hilfsarbeiter seine Tätigkeit am Wörterbuch auf und beteiligte sich seit 1910 an der Ausarbeitung des Manuskriptes.

1911 - 1920

Die Wiener Akademie ermöglichte Junker die Aufnahme der Tempel-Inschriften von Kom Ombo. Durch den 1. Weltkrieg und seine Folgen wurde der Fortgang erheblich beeinträchtigt. Eine größere Druckprobe eines fertigen Manuskriptabschnittes führte zur Erkenntnis, daß zur Druckfassung neben dem Typendruck ein wesentlicher Teil des Wörterbuches autographiert werden müßte. Die 1897 gegründete Wörterbuch-Kommission wählte Junker, Schäfer, Sethe und Spiegelberg hinzu und beschloß, daß das gesamte für das Wörterbuch gesammelte Material (Abklatsche, Zeichnungen, Abschriften u.a.m.) als Eigentum an die Berliner Akadmie gehen solle. Als Hilfsarbeiter waren u. a. Konrad Hoffmann (gef. 1914) und Alexander Scharff (1892-1950) angestellt. Eine von Hoffmann angelegte alphabetische Ordnung der Personennamen erschloß erstmals das gesamte Material der gesammelten Eigennamen. Die Anzahl der alphabetisch markierten Zettel betrug 1918 zum Jahresende 1.374.806.

1921 - 1931

Als erstes Resultat der bisherigen Arbeiten stellten Erman und Grapow gemeinsam ein "Aegyptisches Handwörterbuch" (Berlin 1921) fertig. Im Folgejahr wurde Grapow zum wissenschaftlichen Beamten der Berliner Akademie ernannt. Hermann Ranke (1878-1953), der auch bei Erman studiert hatte, setzte seit 1922 die von Hoffmann begonnene Arbeit an den ägyptischen Personennamen fort. Als 1924 dank einer finanziellen Zuwendung von J. D. Rockefeller jun. die Drucklegung möglich wurde, erstellten Erman, Grapow und Sethe in gemeinschaftlicher Arbeit über mehrere Jahre die Endmanuskripte der fünf Hauptbände. Autographiert von Wolja Erichsen (1890-1966) erschienen sie ab 1926. Mit Erscheinen des 5. Bandes waren 1931 die Arbeiten für das Wörterbuch nach 35 Jahren abgeschlossen.

1932 - 1945

Nach dem Erscheinen der Hauptbände erfolgte die Fertigung der sog. Belegstellenbände mit den Zitaten aus ägyptischen Texten und Literaturverweisen; 1935 erschien der 1., 1940 der 2. Belegstellenband. Daneben wurden auch weiterhin neue Texte erfaßt und verzettelt. Nach dem Tode von Sethe und Erman baute Grapow mit Erich Lüddeckens (1913-2004), Rudolf Hecker (gef. 1943) und Fritz Hintze (1915-1993) eine neue Gruppe um sich auf. In den Jahren 1935 bis 1939 gab es umfangreiche Vorarbeiten für ein Wörterbuch der Schreibungen, das als 7. Band des Wörterbuches geplant war. An diesen Arbeiten waren Lüddeckens und Joachim Spiegel (1911-1989) beteiligt. Diese Arbeiten endeten 1939 und ein unveröffentlichtes Konvolut (Zeichenliste) befindet sich im Archiv des Ägyptischen Wörterbuches. Durch den Beginn des 2. Weltkrieges wurde die Arbeit sehr behindert. Im Frühjahr 1940 wurde schließlich die weitere Textverzettelung beendet. Als das umfangreiche Zettel-Archiv 1943 aus Berlin verlagert wurde, mußte die Arbeit bis Kriegsende ganz eingestellt werden.

1946 - 1953

Ab Herbst 1945 war das Zettel-Archiv wieder aufgestellt und benutzbar. Grapow konzentrierte sich auf die Fertigstellung der noch fehlenden Belegstellenbände zum Wörterbuch. Zunächst erfolgte dies unter Mithilfe von Hintze, der 1947 an die Berliner Universität ging. In Privatunterricht bildete Grapow die promovierte Chemikerin Hildegard v. Deines (Daten unbekannt) sowie Wolfhart Westendorf (*1924) zu neuen Mitarbeitern heran. Diese Gruppe, die 1950 als erstes Ergebnis ein deutsch-ägyptisches Wörterbuch vorlegte, publizierte im Folgejahr den 3. Band und 1953 dann die beiden letzten Belegstellenbände. Für ein Verzeichnis der in den Wortschreibungen verwendeten Hieroglyphen wurde Otto Firchow (1912-ca.1990) an der als staatliche Forschungsinstitution wiederbegründeten Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin angestellt.

1954 - 1961

Bereits früher (1922) hatte Grapow an einem Spezialwörterbuch zu den medizinischen Texten gearbeitet. Zum 100. Geburtstag von Erman legte er 1954 den 1. Band (Anatomie und Physiologie) zum "Grundriss der Medizin der Alten Ägypter" vor. In wechselnder Autorenschaft mit von Deines und Westendorf wurden bis 1961 insgesamt acht Bände erarbeitet (1955: Von den medizinischen Texten; 1956: Kranker, Krankheiten und Arzt; 1958: Übersetzung der medizinischen Texte; 1958: Die medizinischen Texte in hieroglyphischer Umschreibung autographiert; 1959: Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen; 1961: Wörterbuch der medizinischen Texte; 1962: Grammatik der medizinischen Texte). Firchow übernahm 1958 die Leitung des Berliner Ägyptischen Museums, ohne das Verzeichnis der Hieroglyphen angefertigt zu haben. Walter F. Reineke (1936-2015) fing daraufhin als Wissenschaftlicher Assistent am Wörterbuch an, um ein rückläufiges Wörterverzeichniss zusammenzustellen, das 1961 in den Druck ging. Damit endete zunächst die direkte Arbeit am "Wörterbuch der ägyptischen Sprache".

1961 - 1984

Die ägyptologischen Forschungen an dem von Grapow mitbegründeten und von ihm bis 1962 geleiteten "Institut für Orientforschung" an der Berliner Akademie traten zugunsten anderer Projekte in den Hintergrund. Hintze, der 1965 neben seiner Lehrtätigkeit auch das Direktorat des Instituts für Orientforschung an der Akademie bis zu dessen Auflösung im Jahre 1969 übernahm, widmete sich sudanarchäologischer Forschung, für deren Belange 1966 Adelheid Burkhardt (*1941) eingestellt wurde. An dem im Zuge der Akademiereform 1969 gegründeten Zentralinstitut für Alte Geschichte und Archäologie der Akademie der Wissenschaften der DDR waren bis 1985 ägyptologische Arbeiten nur noch im Rahmen übergreifender Projekte (z.B. Abriß der Weltgeschichte bis zur Herausbildung des Feudalismus, Übersetzung der Urk. IV.5-16, Lexikon früher Kulturen, Kulturgeschichte Ägyptens) möglich. Zur Verstärkung der ägyptologischen Arbeitsgruppe wurden 1970 Elke Freier (*1938) und 1971 Stefan Grunert (*1946) eingestellt. Mehrfach gab es Versuche, die Wörterbucharbeit unter Nutzung des Archivmaterials sowie einer neuerlichen Texterfassung wiederzubeleben. Trotz der Gründung von Kommissionen oder Beiräten unter dem Vorsitz von Hintze, in denen Konzepte für die Wiederaufnahme der Arbeiten entwickelt wurden, gelang dies nicht. Die Mitarbeiter wurden für andere Institutsaufgaben zeitweilig (Freier1974 bis 1982 und Grunert bis Mitte 1989) aus der ägyptologischen Arbeitsgruppe abgezogen. Dennoch gelang es im Jahre 1983 für die ägyptologische Arbeitsgruppe am Bereich Alter Orient eine weitere Stelle zu schaffen, die mit Ingelore Hafemann (*1955) besetzt wurde, die zunächst ebenfalls an übergreifenden interdisziplinären Projekten arbeitete (u.a Jugendlexikon der Archäologie).

1985 - 1992

Im Rahmen einer Arbeitsplanung für die 90er Jahre wurde das Projekt einer Neubearbeitung des Wörterbuches in Angriff genommen. Es wurde eine Wörterbuchkommission konstitutiert, die sich aus Vertretern verschiedener ägyptologischer Institutionen der DDR zusammensetzte. Sie sprach sich für den Einsatz elektronischer Datenverarbeitung aus. Ein sehr detailliertes Strategiepapier von Pawel Wolf und Stefan Grunert gab den Überlegungen konkrete Gestalt. Es wurde von der Kommission bestätigend angenommen und führte dann während der Wiedervereinigung Deutschlands, unterstützt durch ein zweijähriges IBM-Studienprojekt, zu sachbezogenen Resultaten. In Vorbereitung der zu gründenden Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften beschlossen die zwischenzeitlichen Trägerinstitutionen KAI-AdW bzw. KAI e.V. (Koordinierungs- und Abwicklungsstelle für die Institute und Einrichtungen der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR bzw. Koordinierungs- und Aufbauinitiative e.V.) zunächst die Evaluierung der Arbeitsstelle. Als Ergebnis dieser Evaluation und in der Folge einer internationalen Tagung zum Thema "Die Zukunft des Altägyptischen Wörterbuches" wurde die Weiterführung des Projektes beschlossen sowie die Strategie der Arbeit festgelegt.

1992 - 2012

Das Akademienvorhaben "Altägyptisches Wörterbuch" konnte 1992 seine Arbeit aufnehmen. Auf der Grundlage der beschriebenen Vorarbeiten seit 1985 wurde 1992 mit dem Aufbau einer Textdatenbank und lexikographischen Arbeiten für ein zukünftiges elektronisches Wörterbuch begonnen.    

Über den Fortgang der Arbeiten im Vorhaben "Altägyptisches Wörterbuch" wurde seit 1992 regelmäßig im Jahrbuch der Berlin- Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und auf der Homepage des Vorhabens berichtet. Das Vorhaben "Altägyptisches Wörterbuch" wurde im Jahre 2012 abgeschlossen. Die Weiterarbeit am ägyptischen Wörtschatz erfolgt seit 2013 im Projekt "Strukturen und Transformationen des Wortschatzes der ägyptischen Sprache".

[Stefan Gunert und Ingelore Hafemann; Stand: Aug. 2015]

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Das Projekt "Altägyptisches Wörterbuch" (1992-2012)

1. Kurzfassung

Ziel des Projekts war die Schaffung eines digitalen Corpus der aus dem pharaonischen Ägypten überlieferten Texte, das durch eine lexikalische Datenbank erschlossen ist; das Material soll im Internet zur Recherche präsentiert werden.

2. Ausführliche Fassung

2.1. Zur Geschichte des Unternehmens

Das Akademienvorhaben "Altägyptisches Wörterbuch" steht in direkter Tradition des Projekts zur Schaffung eines Wörterbuches der ägyptischen Sprache, das 1897 auf die Initiative Adolf Ermans hin an der Preussischen Akademie der Wissenschaften begründet wurde. Seinen besonderen, damals neuartigen, bis heute einzigartigen Charakter im Rahmen der Lexikographie des Ägyptischen erhielt das Unternehmen durch die Grundsatzentscheidung, nicht auf der Basis punktueller Exzerpte zu arbeiten, sondern das Wörterbuch der ägyptischen Sprache auf die umfassende Erschließung des damals erreichbaren Textmaterials zu gründen.

Unter Beteiligung von mehr als 80 Ägyptologen des In- und Auslandes, darunter die führenden Gelehrten ihrer Zeit, wurde zwischen 1897 und 1940 der überwiegende Teil der damals bekannten Texte erfaßt und auf über 1,5 Millionen Belegzetteln dokumentiert und lexikalisch geordnet archiviert. Dieses Archiv bildete die Grundlage zur Erarbeitung des publizierten "Wörterbuchs der ägyptischen Sprache" (13 Bde, Leipzig-Berlin 1926-1963). Die intensive Arbeit am Textmaterial trug jedoch weitere Früchte: Zusätzlich zu zahlreichen Textpublikationen fundamentalen Charakters erwies sich das lexikalische Zettelarchiv selbst als philologisches Forschungswerkzeug ersten Ranges, das zur Aufklärung von Fragen, die in den publizierten Bänden des Wörterbuches nicht zur Sprache kamen, rege konsultiert wurde und wird.

Nach Abschluß des Wörterbuches der ägyptischen Sprache konzentrierte sich die Arbeit am Wörterbucharchiv seit den 50er Jahren auf die Erforschung spezieller Textgruppen, medizinischer und mathematischer Texte, sowie auf die Übersetzung der in den "Urkunden des ägyptischen Altertums" veröffentlichten Texte. Die Arbeit an der Fortführung des Textcorpus wurde 1940 eingestellt.

Seitdem die Grundlagen des Textarchivs gelegt wurden, hat sich jedoch die Menge der uns bekannten Texte aus dem pharaonischen Ägypten durch intensive Feldforschung und Editionsarbeit mehr als verdoppelt. Weder das Wörterbuch der ägyptischen Sprache, bis heute das einzige umfassende Referenzwerk zur Lexik des Ägyptischen, noch das Textarchiv können damit den aktuellen Stand der Forschung repräsentieren. Die Neuaufnahme der Arbeit am Altägyptischen Wörterbuch wird daher in der internationalen Ägyptologie seit langem als Desiderat höchster Priorität empfunden.

2.2. Die Neubearbeitung des Altägyptischen Wörterbuches

Mit der Fortführung des Akademienvorhabens Altägyptisches Wörterbuch hat sich die BBAW dazu bekannt, in diese Verpflichtung einzutreten. Das als so fruchtbar erwiesene Grundprinzip, die Arbeit am Wörterbuch auf ein umfassend erschlossenes Textcorpus zu gründen, wird dabei weiter gültig bleiben. Die gewaltigen Materialmengen und die Ansprüche der modernen Forschung an Tiefe und Vielfalt der Materialerschließung fordern jedoch eine neue methodische Plattform, die nur in der konsequenten Aneignung der neuen Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung und der Informationsverbreitung durch das Internet zu gewinnen ist.

2.2.1. Konzept: ein virtuelles Wörterbuch

Im Zentrum der Arbeit steht ein maschinenlesbar erschlossenes Textcorpus, das seiner Anlage nach alle aus dem pharaonischen Ägypten überlieferten Texte aufnehmen soll. Die Texte werden transkribiert und durch textkritische Notation und morphologische Markierungen strukturiert erfaßt. Diese Transkription kann nicht alle Eigenheiten der Hieroglyphenschrift wiedergeben; das angewandte Transkriptionsverfahren ist jedoch so angelegt, daß es, gerade im Hinblick auf die Flexionsmerkmale der Wörter, die hieroglyphische Schreibweise erkennen läßt. Besondere Schreibungen lassen sich im Einzelfall explizit aufnehmen. Durch Anschluß einer Bilddatenbank sollen in der Zukunft nach Möglichkeit Faksimilia der erfaßten Texte zur Orientierung und Überprüfung bereitgestellt werden. Durchgängig werden die erfaßten Texte von einer Übersetzung begleitet, und grundsätzlich wird auch die Flexionsform der Textwörter codiert. Die Notation weiterer Merkmale, so z.B. die syntaktischen Funktionen und Relationen der Textwörter, wird möglich, sobald die Entwicklung maschineller Routinen zur grammatischen Textanalyse weiter vorangeschritten ist.

Die im Textcorpus erfaßten Texte werden durch ein breites Spektrum extratextueller Daten identifiziert und beschrieben. Neben bibliographischen Angaben, die praktischen Zwecken dienen, stehen Daten zu Textträger, Textsorte, Datierung, Provenienz, Schrifttyp, Sprachstufe usw.: Daten, die es erlauben, das erfaßte Textcorpus statistisch zu beschreiben und in der Recherche zu segmentieren. Nur so läßt sich die Relevanz der aus dem Textcorpus erhobenen Informationen bestimmen. Diese Textdatenbank bietet die Möglichkeit zu eigenständiger Fortentwicklung. Die dringend erforderliche Erschließung des im alten Wörterbuch der ägyptischen Sprache erfaßten Textmaterials wie auch die Anlage einer Textbibliographie des Alten Ägypten, deren Fehlen oft beklagt wurde, können sinnvoll in diesem Rahmen geschehen.

Das Textcorpus ist mit einer lexikalischen Datenbank verbunden. Diese bietet zunächst statisch eingetragene lexikalische Information zu den Lemmata (Bedeutung, Lautbestand, Schreibung ...), ganz nach Art eines traditionellen Wörterbuches. Allerdings lassen sich in einem computerinternen Wörterbuch die Einträge nicht nur in alphabetischer Folge aufsuchen. Eine systematische Klassifikation der Lemmata erlaubt ihre Gruppierung z.B. nach Wortarten und besonderen Wortgruppen (Personennamen, Götternamen ...). Darüber hinaus können Beziehungen zwischen den einzelnen Einträgen hergestellt werden, wodurch etwa Sachverhalte der Wortbildung oder semantische Bezüge zwischen Wörtern dargestellt und abgefragt werden können.

Die lexikalische Datenbank greift jedoch noch in anderer Hinsicht über den Rahmen eines traditionellen Wörterbuches hinaus. Sie enthält maschinell interpretierbare Information zu Flexions- und Rektionsverhalten der Wörter, die in der automatischen Analyse des Textcorpus zum Tragen kommt. Schließlich erlaubt es die Verkettung mit dem Textcorpus, zu Einträgen der lexikalischen Datenbank dynamisch stets aktuelle Information zu Wortvorkommen, Konstruktion und Verbindung mit anderen Wörtern abzufragen. Das Belegmaterial zu den einzelnen Einträgen kann unmittelbar aus dem Textcorpus abgerufen werden. In der Verbindung von Textcorpus und lexikalischer Datenbank lassen sich auch im Hinblick auf bestimmte Fragestellungen Teilwörterbücher zusammenstellen. Damit stellt sich das virtuelle Wörterbuch gleichzeitig als Medium der Auskunft über den Wortschatz der ägyptischen Sprache wie als Werkzeug zu seiner Erforschung dar. Über die lexikographische Forschungsperspektive hinaus bietet es sich als Einstiegspunkt in die Textüberlieferung des pharaonischen Ägypten im Rahmen der philologischen und kulturhistorischen Forschung an.

2.2.2. Realisation: Umfang und Wachstum, Nutzung, Datenbankverbund

Die Realisation eines so umfassenden Projekts muß den Rahmen des Machbaren im Auge behalten. Das Gesamtcorpus der unbedingt zu erfassenden Texte wird auf ca. 5 Millionen Textwörter geschätzt. Durch die Kooperation mit anderen Forschungseinrichtungen sowie durch neu programmierte Hilfsmittel soll die Texterfassung immer effizienter werden, um in absehbarer Zeit ein repräsentatives Corpus aufbauen zu können. So wurde im Jahre 1999 an der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig eine Arbeitsstelle ins Leben gerufen, die vorrangig die Aufnahme der literarischen Texte übernommen hat. Im Jahr 2000 wurde durch die Akademie der Wissenschaften und der Literatur (Mainz) in Würzburg eine Arbeitsstelle inauguriert, die der Erstellung einer Datenbank demotischer Texte gewidmet ist. Weiter hat sich das Totenbuchprojekt der Universität Bonn entschlossen, das Textmaterial in einem mit den Erfassungsprinzipien des Wörterbuchprojekts kompatiblen Format einzugeben und ebenfalls eine Veröffentlichung über die Publikationsplattform des Altägyptischen Wörterbuches zu erproben. Seit 2003 ist dieses Projekt von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften übernommen worden. Alle drei Arbeitsstellen arbeiten mit dem Erfassungssystem der Berliner Arbeitsstelle. Seit Sommer 2005 gibt es auch eine Zusammenarbeit mit der Katholieke Universiteit Leuven. Dort werden Texte aus ptolemäischer Zeit ebenfalls mit dem Berliner System erfaßt und über die Plattform des Altägyptischen Wörterbuchs zur Verfügung gestellt. Damit werden erstmals auch französische Textbearbeitungen in die Datenbank integriert. Entscheidend ist, daß die Nutzbarkeit des Materials nicht erst mit dem Abschluß des Gesamtprojekts möglich wird. Die Textdatenbank ist jederzeit in ihrem aktuellen Zustand mit Gewinn zu konsultieren. In einer ersten Ausbaustufe wurde dieses neuartige, sich dynamisch fortentwickelnde Forschungswerkzeug als Thesaurus Linguae Aegyptiae ab Oktober 2004 im Internet weltweit zur Verfügung gestellt. Er wird jährlich 2 Mal aktualisiert, wobei jeweils am 31.10 jeden Jahres, dem Geburtstag Adolf Ermans, eine neue Version angeboten wird.

Um sich dem Ziel der Erschließung eines umfassenden Textcorpus schneller zu nähern, ist bereits anderwärts erfaßtes Textmaterial nach Möglichkeit einzubeziehen. Das Projekt arbeitet daher nicht nur am Aufbau der eigenen Textdatenbank. Es will darüber hinaus interessierten Fachwissenschaftlern komfortable Werkzeuge zur datenbankgestützten Texterfassung zur Verfügung stellen. Sodann wird daran gearbeitet, unter der einheitlichen Rechercheoberfläche der Textdatenbank des Altägyptischen Wörterbuches eine Vielzahl unterschiedlicher, auch auswärtiger Datenbestände zu integrieren. Dadurch wird es möglich, spezialisierte Textdatenbanken, ohne in ihre Struktur und Autonomie einzugreifen, unter einer gemeinsamen Nutzerschnittstelle verfügbar zu machen.

Einen wichtigen Schritt in diese Richtung stellte bereits die Erschließung des Zettelarchivs des Wörterbuches der Ägyptischen Sprache dar, das seit Ende März 1999 in digitalisierter Form zur Recherche im Internet verfügbar ist.

[I.Hafemann, Sept. 2013; Redaktion Dez. 2012]

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Literatur zur Geschichte des Wörterbuch-Unternehmens

  • Adolf Erman & Hermann Grapow, Das Wörterbuch der ägyptischen Sprache. Zur Geschichte eines großen wissenschaftlichen Unternehmens der Akademie, Berlin 1953
  • Walter F. Reineke, Das Wörterbuch der ägyptischen Sprache. Zur Geschichte eines großen wissenschaftlichen Unternehmens der Berliner Akademie zwischen 1945 und 1992, in: I. Hafemann & S. Grunert (Hrsg.), Textcorpus und Wörterbuch, Leiden 1999, xi-xlv
  • Stephan J. Seidlmayer, Vom Raten zum Wissen, Adolf Erman und das Wörterbuch der ägyptischen Sprache an der Berliner Akademie, in: A. Baertschi & C. King (Hrsg.), Die modernen Väter der Antike. Die Entwicklung der Altertumswissenschaften an Akademie und Universität im Berlin des 19. Jahrhunderts, Berlin 2009, 481-501

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